Freitag, 29. Mai 2015

Seneca - Prominenter Kritiker des Vegetarismus

Foto: R. Bock
Wie schön, dass ich im Besitz der vollständigen Studienausgabe der Schriften des römischen Philosophen Seneca bin. So lassen sich die wilden Phantasien der Vegetarier aufs einfachste widerlegen, die Seneca als einen der ihren vereinnahmen wollen und hanebüchene Legenden über den angeblichen Vegetarier Seneca verbreiten, dessen Name in keiner Liste prominenter Vegetarier, die sich im Web finden lassen, fehlt.

Lucius Annaeus Seneca (1 bis 65 n.Chr.) war, inspiriert von seinem Lehrer Sotion, in seiner Jugend ein Anhänger der Lehren des Pythagoras von Samos (570-510 v.Chr.). Genau - der Pythagoras, den ihr alle aus dem Geometrieunterricht kennt ("a-Quadrat plus b-Quadrat ist c-Quadrat").

Der gute Pythagoras war aber beileibe nicht nur an Geometrie interessiert, sondern wie viele der antiken Philosophen ein wahrer Tausendsassa. Er und seine Schüler waren ziemliche Freaks und u.a. von esoterischem Nonsens wie Zahlenmystik begeistert und von Seelenwanderung überzeugt (ähnlich der Reinkarnationslehren Buddhas). Daher lehnte Pythagoras Fleischkonsum strikt ab, weil er sich mit der Idee nicht anfreunden konnten, unter Umständen den eigenen Vater oder die Mutter zu verspeisen, wenn er ein Tier verspeiste, in dessen Leib die Seele eines Elternteils reinkarniert sein könnte.
von Robert Bock


Wikipedia zur pythagoräischen Seelenlehre
"Zum Kernbestand des ursprünglichen Pythagoreismus gehörte auch der Vegetarismus, der als „Enthaltung vom Beseelten“ bezeichnet wurde. Dieser Vegetarismus war religiös und ethisch motiviert; gemäß dem Prinzip der Enthaltung wurden neben der Fleischnahrung auch die Tieropfer verworfen. Pythagoras selbst war Vegetarier; inwieweit seine Anhänger ihm darin folgten, ist unklar. Ein für alle verbindliches Gebot gab es offenbar nicht, doch dürfte zumindest der engere Schülerkreis vegetarisch gelebt haben.
Berühmt war in der Antike ein strenges Tabu der Pythagoreer gegen den Verzehr von Bohnen. Die Forschung nimmt einhellig an, dass das Bohnenverbot auf Pythagoras selbst zurückzuführen ist. Ob das Motiv dafür ausschließlich mythisch-religiös oder auch diätetisch war und welcher Gedankengang dahinter stand, war schon in der Antike strittig und ist bis heute nicht geklärt."

Offenbar haben die Vegetarier in diesem Punkt mal wieder auf den Modus extrem selektiver Wahrnehmung geschaltet, denn obwohl sie sich, was den Fleischverzicht betrifft, gerne auf Pythagoras berufen, essen sie doch trotzdem reichlich Bohnen. Motto: Wir nehmen uns, was zu unserer Ideologie passt, ignorieren den ganzen überflüssigen Rest und pfeifen auf die Gesamtzusammenhänge eines philosophischen Lehrgebäudes... .
Ich mache diesen billigen Fehler natürlich nicht, auch wenn ich den alten Pythagoras aufgrund seines Bohnenverbotes mit der gleichen Berechtigung als einen der geistigen Väter der Paleo-Ernährung vereinnahmen könnte, wie dies die Vegetarier ihrerseits tun.

Aber zurück zum von mir verehrten Seneca.

Ich habe ihn, zu Schulzeiten auf ihn aufmerksam geworden, teils im lateinischen Original gelesen, was mir aber heute mangels Übung zu mühsam geworden ist, in der deutschen Übersetzung komplett, und manche Stellen in dem dicken Schinken auf dem Foto sind inzwischen ziemlich abgegriffen, so oft lustwandle ich in seiner Gedankenwelt. Unglaublich aktuell, gut und sehr verständlich zu lesen, ich leg ihn Euch ans Herz, er hat uns auch nach bald 2000 Jahren - gerade heute - noch immer viel zu sagen.

Rund 500 Jahre nach Pythagoras' Ableben, setzte der heranwachsende Seneca dessen Lehre also tatsächlich in die Tat um und enthielt sich für etwa ein Jahr tierischer Nahrungsquellen. Die Vegetarier und Veganer unserer Tage schließen ihn daher in den Kreis der Ihren ein um mit seinem strahlenden Namen zu renommieren - unterschlagen dabei aber mehr oder weniger restlos, was der gute Seneca in reifen Jahren in seinen Briefen an Lucilius, reflektierend über diese Phase seiner Jugend, tatsächlich geschrieben hat - oder aber sie verdrehen die Fakten.

Adolf Hitler, einer der größten Verbrecher und Massenmörder der Menschheitsgeschichte, der in der Summe der Zeit wahrscheinlich wesentlich länger vegetarisch lebte als der friedliebende Fleischesser Seneca, wird hingegen der Mantel des Schweigens gelegt, sein Name taucht in den Listen der prominenten Vegetarier nicht auf. Ebenso beim VEBU kein Wort über die Begeisterung der NS-Nomenklatura für vegetarisch-weltanschauliche Ideen. Man geriert sich in alter Tradition mangelhafter Vergangenheitsbewältigung auf deren Website lieber als Opfer, als als Täter. Das nur am Rande. Ich glaube nicht, dass dem aufrechten Seneca das gefallen hätte. Schon gar nicht, dass er in deren Liste prominenter Vegetarier gelistet ist.

Es wird bisweilen behauptet, Seneca wäre von seinem Vater gezwungen worden, nachdem er ein Jahr lang vegetarisch gelebt hatte, wieder Fleisch zu essen, weil Kaiser Nero zur Christenverfolgung geblasen, und der Vater Angst gehabt hätte, die Familie würde in Verdacht geraten, dieser Sekte zugehörig zu sein. Es wird behauptet, Seneca hätte eine vegetarische Bewegung in Rom ins Leben gerufen, was alles nichts als Phantasie ist, die der eine Depp vom anderen Deppen abkupfert, ohne sich um die Quellen zu bemühen.

Dabei ist das so einfach: Man nehme die Schriften Senecas zur Hand und lese.... .

Was wirklich geschah, das liest sich alles völlig anders - es liest sich, an den Adressaten der Briefe, an Lucilius gerichtet, nämlich so:

Seneca, Episules morales ad lucilium, 108-22:

"Durch solche Reden angetrieben, fing ich an, mich der tierischen Nahrung zu enthalten, und nach Ablauf eines Jahres war mir diese Gewohnheit nicht nur leicht, sondern auch angenehm. Es kam mir vor, als erhielte mein Geist einen größeren Schwung, und ich möchte dich heute nicht versichern, es sei tatsächlich so gewesen. Du fragst, wie es kam, daß ich wieder davon abgestanden? Meine Jugendzeit fiel in die ersten Jahre der Regierung des Kaisers Tiberius. Damals wurde mit dem ausländischen Gottesdienst aufgeräumt, die Enthaltung aber von gewissen Tieren galt als Beweis des Aberglaubens. Darum kehrte ich auf Bitten meines Vaters, der nicht etwa Verleumdung fürchtete, aber die Philosophie haßte, zu meiner früheren Gewohnheit zurück, und es kostete ihm nicht viel Mühe, mich dahin zu bringen, daß ich mich wieder an besseres Essen gewohnte."

Die "Reden", von denen Seneca im ersten Satz schreibt, und die er in den Abschnitten davor darstellt, die ich nicht wiedergegeben habe, sind die pro-vegetarischen Lehren seines Lehrers Sotion, die das Herz des jungen Mannes offenbar entflammten. Es dreht sich darin um die Lehre von der Seelenwanderung.

Vieles von dem, was Seneca hier als reifer Mann über seine Jugend schreibt, kennen Eltern von pubertierenden Jugendlichen bis heute zur Genüge: Der Nachwuchs findet, aus Lust an der Provokation  oder Opposition um der Opposition in dieser schwierigen Lebensphase willen, Gefallen an Ideen, die die eigenen Eltern nicht ausstehen können. Die meisten jungen Menschen lösen sich im Zuge des Erwachsenwerdens wieder von diesem pubertären Verhalten, anderen gelingt das zeitlebens nicht. Meiner unmaßgeblichen persönlichen Sicht nach, finden sich in dieser Gruppe besonders viele Vegetarier und Veganer. Steckengeblieben in der Pubertät - welch eine Schreckensvision! Seneca war ein schlauer Kopf, bei ihm lief alles in normalen Bahnen.

Im Falle Seneca's war Gegenstand des Aufbegehrens, seinen eigenen Worten folgend, wohl die Aversion des Vaters gegen Philosophen und die Philosophie im Allgemeinen, die den Sohn ironischerweise vielleicht ausgerechnet zur Philosophie hinführte. Um der geistigen Opposition Fakten folgen zu lassen, machte der junge Seneca, sicherlich zunächst auch inhaltlich überzeugt, ernst und wurde Vegetarier. Es fiel ihm nicht schwer, es ging ihm in den ersten Monaten auch wunderbar - er meinte an sich sogar positive Phänomene ("größerer Schwung des Geistes") zu erkennen, wie er schreibt.

Mit dem Abstand der Jahre ist sich der reife Seneca (die Epistulae dürften etwa ein Jahr vor seinem Tod verfasst worden sein) aber dessen nicht mehr so sicher und er deutet an, er habe sich das damals wohl alles eingeredet, wenn ich mir diese Deutung seiner Worte ("und ich möchte dich heute nicht versichern, es sei tatsächlich so gewesen") erlauben darf.

Der Vater hatte wohl damals kaum Angst vor Nero's berüchtigter Christenverfolgung - denn es war Tiberius, wie Seneca schreibt, der zur fraglichen Zeit Kaiser war und nicht Nero, der erst im Jahre 54 n.Chr. den Thron bestieg, was Vegetarier offensichtlich wenig schert. Seneca war zwar Nero's Hauslehrer, es gab also durchaus eine Verbindung zwischen den beiden Männern, sollte er als dessen Lehrer dem späteren Kaiser die "Lust am Töten" auszutreiben versucht haben - sehr erfolgreich ist er damit wohl nicht gewesen.

Der Vater hatte auch keine "Sorge vor Verleumdung", sondern wollte seinem Sohn "die philosophischen Hirnfürze" verleiden, wenn wir Seneca's Worte einfach so lesen, wie sie dort stehen. Der Verleumdungsaspekt war möglicherweise, falls überhaupt ein Argument des Vaters, eine Schliche des Vaters, um den Sohn wieder zum Fleischkonsum zu überreden.

Der Vater zwang den Sohn auch nicht, wie manche Vegetarier schreiben, er bat ihn. Schreibt Seneca - und der sollte es am besten wissen.
Es kostete seinem Vater nicht einmal viel Mühe ihn zum Fleischkonsum zu überreden, wie Seneca schreibt. So richtig tief und unverbrüchlich scheinen Seneca's Überzeugungen wohl nicht gewesen zu sein. Kann ich persönlich sehr gut nachvollziehen: Wenn ich ein Jahr lang aus freien Stücken auf Fleisch verzichtet hätte, wäre auch ich bestimmt extrem leicht zu überreden... .

Nicht zu vergessen: ein pikantes Detail, das Vegetarier gänzlich unter den Tisch fallen lassen: Seneca schreibt ausdrücklich: "mich dahin zu bringen, daß ich mich wieder an besseres Essen gewohnte."

"Besseres Essen", liebe Vegetarier, ist nach den Worten des Lucius Annaeus Seneca, den ihr als einen von Euch vereinnahmt, eine Ernährung, die Fleisch und andere tierische Produkte umfasst. 

Das Wort "besser" fordert stets zur Frage auf: "Besser im Vergleich wozu?"

Antwort: Besser als eine fleischlose, vegetarische Ernährung. 

Wer Seneca's Worte anders deutet, redet Müll und sein Geist bewegt sich diesbezüglich über den sieben Bergen bei den sieben Zwergen.

Unterm Strich: Seneca war als Heranwachsender für die Dauer eines Jahres Vegetarier, kehrte aber dann für den Rest seines Lebens zu einer omnivoren Ernährung zurück, weil er diese als eine "bessere" Nahrung einstufte, als die vegetarische. Was die angeblichen positiven psychischen Wirkungen seiner fleischlosen Phase als Jugendlicher angeht, zweifelt er später und deutet an, er könne sich das damals wohl auch eingeredet haben. Vom physischen Nutzen einer fleischlosen Ernährung ist bei Seneca mit keiner Silbe die Rede.

Alles was recht ist: Seneca als prominenten Vegetarier zu vereinahmen, ist eingedenk der Fakten mehr als dreist. 

Statthafter wäre es m.E., Seneca als einen prominenten Kritiker des Vegetarismus, einer der vom Saulus zum Paulus mutierte, zu interpretieren. 


Soviel zu Seneca - welche Prominenten, die sich nicht mehr gegen posthume Verleumdung wehren können, mag die Listen der Vegetarier noch zieren? 

Über den Dichter Christian Morgenstern, hatte ich neulich schon berichtet, der ebenfalls diese einschlägigen Listen zu Unrecht bereichert und ebenfalls unverholen Kritik an den Schnapsideen der Vegetarier seiner Zeit in seinem Werk kundtat.