Foto: Franziska du Puits |
Marc-:´s Einverständnis seine Worte vom 18.04.14 zitieren zu
dürfen vorausgesetzt:
„Warum lässt „man“ uns nicht einfach in Ruhe (und) unser Ding machen? Warum gibt es immer wieder Menschen, D.ieG.erneE.rmahnen und uns sagen wollen, was richtig ist und vor allem, was wir deren Meinung nach alles falsch machen.“
Ich will den Versuch
einer Antwort im Gewand einer Gegenfrage servieren:
Sind wir denn
noch in der Lage, ohne Vorgaben – bedeutet auch ohne wissenschaftliche
Nachweise über Sinn oder Unsinn – unsere Entscheidungen zu treffen?
von Franziska du Puits
Ich melde Zweifel an.
Dafür scheint mir das ganze schon zu weit fortgeschritten. Wir sind nicht
diktatorisch unterjocht worden. Es gibt keine „die“, denen wir die
Verantwortung zuschieben und nun ein
„lasst uns doch in Ruhe!“ zurufen könnten. Unsere Lebensumstände haben wir
gestaltet, Schritt für Schritt – Generation für Generation. Was wir für wichtig
erachten, wie wir unsere Prioritäten setzen – das formt die Lebensumstände
unserer Kinder. Früher wie heute. Insgeheim wünschen sich alle Eltern, ihre
Kinder mögen ihnen auch später noch nahe sein. Unsere Sicht auf sie, unser
Umgang mit ihnen heute wird uns der Erfüllung dieses Wunsches aber kaum näher
bringen. Deshalb ist er inzwischen vielleicht auch geheim … aber immerhin ist
er noch nicht tot. Offiziell wird erwartet, dass sich die Kinder entfernen,
dass sie keine Zeit mehr für, kein Interesse an den Eltern mehr haben werden. „Die
haben doch ihr eigenes Leben.“ ist ein oft gesprochener Satz. Schon richtig - und
da gehören in die Jahre gekommene Eltern nicht mehr dazu?
Aber zurück zum Thema – wir tanzen ja hier auf dem Tisch, soll heißen es geht ums Essen.
Ich denke, die mangelnde oder verkümmerte Fähigkeit, den eigenen Instinkt als solchen wahrzunehmen oder ihm zu folgen, wird durch zwanghafte Kontrolle und Regeln ersetzt. Oder anders herum – die Lust alles zu regeln, nicht weil eine direkte Notwendigkeit dafür besteht sondern schlicht weil es möglich ist, tötet jeden Instinkt. Kinder zeigen bspw. direkt nach der Geburt an, wenn sie sich erleichtern müssen. Mit Gespür und Aufmerksamkeit, können die Eltern dieses Signal wahrnehmen. Darauf basiert das Prinzip der Windelfreiheit (die Praxistauglichkeit in unseren Breiten soll hier nicht Thema sein). Werden diese Signale allerdings eine Weile ignoriert, stellt sie das Kind ein. Das Zeichen-Repertoire beschränkt sich aber nicht nur aufs Pipi… Putzigerweise etabliert sich gerade ein neuer Trend aus den Staaten, so called „baby signs“. Und dort geht es nicht darum, die Eltern für die Signale ihrer Kinder zu sensibilisieren, sondern den Kindern Zeichen beizubringen, die in einem entsprechendem Buch stehen und in einem entsprechenden Kurs von einer entsprechend zertifizierten Kursleiterin vermittelt werden. Gegen entsprechendes Entgeld natürlich. Hüstel … Auf den ersten Blick ein schöner Gedanke – schließlich geht es um die Verbesserung der Kommunikation zwischen den Generationen und mit einem Zeichen kann das Kind schon eher deutlich machen, dass es keinen Keks essen sondern in der Dusche spielen möchte. Was will man dagegen sagen, schließlich geht es um die Kinder!!
Abstecher:
Vor zwei Jahren im Herbst hatten wir in der Dämmerung einen Lampionumzug der
Schule – in beachtlicher Polizeibegleitung und mit dem Großteil der Kinder in
Warnwesten. Wer würde es wagen zu sagen „Kommt, zieht mal die Westen aus, man
sieht die Lampions gar nicht mehr …“? Das käme wahrscheinlich dem Tatbestand
der Körperverletzung gleich. … will
sagen, ist der Schritt getan, wird die Umkehr fast unmöglich.
Bist Du nicht mit
uns, dann bist Du gegen uns. Mit diesem Totschlagargument kann man alles
verkaufen – schon mal vom Nasenabsaugeraufsatz für den Staubsauger gehört?
Wöllte ich sowas bei meiner Tochter versuchen, um ihr Erleichterung im
Geschniefe zu verschaffen, müsste ich sie festbinden und ihren Kopf fixieren. Und
dann noch den Staubsauger bedienen. Gibt es schon eine passende Therapie für ein
Trauma durch den Staubsauger oder bin ich gerade auf eine Marktlücke gestoßen?!
Muhaha! Ein kräftiger Nieser hat die
gleiche Wirkung…
Wir haben uns ein
Regelwerk gezüchtet, das sich aufmacht uns zu fressen.
Kleiner Alltagsexkurs:
Der viel zitierten DGE eV kann man als Erwachsener vielleicht gut ausweichen,
als Eltern kaum. Sie ist Grundlage für die Kita- und Schulversorgung. Wenn sich
Eltern aufmachen, hier eine Qualitätsverbesserung zu erzielen, geht es nicht
darum, Küchen wieder in den Einrichtungen zu etablieren. Es geht in erster
Linie darum, weitere Standards zu schaffen. Leitfäden für die Eltern, nach
denen sie die Wahl ihrer Kinder lenken sollen. Wir könnten im Bestellsystem
einem Smiley folgen und wären damit „richtliniengetreu“ versorgt. Idiotensicher
quasi. In unserer Schule gibt es vier Essen zur Auswahl und trotzdem buckeln
die Angestellten täglich kübelweise Weggeschmissenes zur Tonne. Dat is halt so
… In der zweiten Klasse gab es ein „gesunde Ernährung“s-Projekt. Eine
Ernährungsberaterin wurde eingeladen, welche ordentlich entlöhnt mit den
Kindern „Gesichter-Schnitten“ zubereiten wollte. Ich habe mir angesehen, was
die Frau so aus ihren Taschen holte: ein vorgeschnittenes eingeschweißtes Brot,
zwei folierte Paprika-Ampeln, zwei folierte Gurken, zwei, drei Becher
Frischkäse – sämtlich aus dem Supermarkt nebenan. Dieses Ereignis wurde durch die Lehrerin und der Elternschaft zu
einem regelrechten Happening stilisiert. In der Folge kontrollierten die Kinder
nach dem Vorbild der Lehrerin gegenseitig die Brotbüchsen. Und es formierte
sich der vollkorn- und margarinebewehrte Kindermob, „das ist
ungesund!!“-skandierend, sobald mein Sohn seine Dose öffnete. Geteilt hat er
trotzdem weiterhin – das gute Kind.
Als Eltern muss man schwer
was auffahren, denn gerade in den Zeiten der Grundschule wiegt das Wort der
Lehrerschaft manchmal mehr als das eigene. Das wäre die Tür zum Thema Bildung …
ich lehne mich mal dagegen und lasse sie heute zu.
Aber einen weiteren
Punkt möchte ich noch ansprechen. Das ist der der vermischten Bedürfnisse, der Begleitumstände. Es klingt so einfach:
„Horcht mehr in Euch hinein und erspürt, was ihr braucht. Erfüllt Euer
Bedürfnis sorgsam und FERTIG! Ziel erreicht.“ So einfach ist es leider bei den
meisten nicht mehr. Auch hier ein Beispiel aus meinem persönlichen Schatz:
Ich
bin Mutter zweier Kinder (einmal 9 Jahre, einmal 10 Monate) und wir sind das,
was man eine „Einelternfamilie“ nennt. Es gibt Tage, da lebe ich hart an meiner
Belastungsgrenze. Was mir dann gut tun würde, wären 10km straffes Wandern oder
dreimal mit dem Rad übern Berg. Kann ich nicht, ist im Moment einfach nicht
möglich. Ich weiche dann zeitweise auf Bitterschoki aus. Mein Körper braucht
sicherlich keine Bitterschoki, meine
Seele schon. Und wer möchte sich aufschwingen,
die Bedürfnisse meiner Seele zu verniedlichen? Wodurch auch immer sie
motiviert sein mögen. Für wie viele Senioren ist es das höchste Glück, einem
kleinen Händchen einen Keks zu reichen? Weil das Kind an dem Händchen
abgemagert ausschaut? Nein, weil der Zureichende einsam ist. Wie viele Leute
kompensieren ihre unbefriedigenden Tages- oder Lebensaufgaben durch Essen? Jeder
mit einer Essstörung in seiner Biografie wird wissen, wie schwer es ist, ein
verlorenes Körpergefühl wiederzufinden. Unter Stress kann ich nicht essen,
nicht bedürfnisbefriedigend. Womit sich langsam der Kreis schließen lässt zur
Ausgangsfrage:
Die vielen
Richtlinien lesen sich immer „idiotensicherer“ – eventuell weil sich die
meisten im Moment verhalten, wie welche? Durch das Befolgen der Leitfäden
verpassen wir unseren Kindern von Beginn an eine (Ess)Störung, weil wir ihr
Gefühl für „das ist jetzt richtig für mich“ negieren, wenn nicht gar als falsch
betiteln. Daher braucht es immer weitere Leitfäden und wir verwandeln uns in
eine Horde Schafe, die auch ohne Zögern den Kunstrasen von der Terasse
wegfressen wird, zeigt nur irgendjemand eine passende Statistik. Der Inhalt der
Statistik ist schon fast egal, wenn die Kurve am Ende nach oben geht. Na guten
Appetit. Von den Interessen unserer Hirten mal ganz zu schweigen.
Was also tun?
Ich schlage als
erstes vor – schenken wir unseren Nachkommen das Vertrauen und den Respekt, den
sie verdienen. Unsere Kinder sind keine Idioten. Sie sind nicht blöde, im
Gegenteil. Da bin ich ganz bei Jeanne Liedloff – unsere Kinder sind soziale
Wesen, die von Beginn an zur Gemeinschaft beitragen wollen. Sie kommen nicht
auf die Welt, um uns auf den Senkel zu gehen. Achtet mal auf die Kommunikation
zwischen Erwachsenen und Kindern. Ist das wertschätzend, respektvoll? Würde man
so mit einem anderen Erwachsenen sprechen?
Ganz
simples Beispiel: Eine umgestoßene Tasse am Tisch. Wer würde seine
Arbeitskollegin dafür zur Schnecke machen und was entlädt sich oft, wenn einem
Kind das passiert?
Ermöglichen wir Vielfalt
(um nochmal kurz auf den Tisch zurückzusteigen), in dem wir bei Einladungen auf
ein „Er isst nur Nudeln.“ verzichten. Mein Sohn hat seine Vorliebe für
Blutwurst und Muscheln bei seinen Großeltern entdeckt.
Gestatten wir ihnen
und uns selbst, individuell sein zu dürfen. Es gibt ganz unterschiedliche
Menschen(formen). Worin unterscheidet sich die Klassifizierung und Normierung
nach dem BMI von einer Einteilung in Haarfarben? Die Gesundheitskasse wird
belastet, ist wohl so ein schlagendes Argument. Aber was, wenn die ganzen Schwarzhaarigen sich
die Schöpfe blondieren lassen, weil ich daher gehe und Schwarzhaarigkeit zum
Problem erkläre. Die Hälfte bekommt Ausschlag auf der Kopfhaut, der anderen
fallen die Haare komplett aus. Alle rennen zum Arzt und die Gesundheitskasse
ächzt, von der Umweltbelastung mal ganz zu schweigen. Und ich fächere mir nach
dem langsam verebbenden Lachkrampf Kühlung mit den Schecks der Perückenmacher,
Blondierungshersteller und Salbenrührer zu.
Passen wir die Zahl
der Kinder, deren Kleidung alpingerecht ist der an, die bei Regen und Wind
draußen spielen darf. Auch im Matsch, mit Händen und Füßen. Fördern wir die
Eigenständigkeit, in dem wir eine Umgebung schaffen, die Freiheit bietet und
weniger einschränkt. Vom „Warum?“ zum „Warum nicht?“. Wir sind Meister im
(Früh)Fördern der Kinder bei fehlendem Anspruch. Wie würdet Ihr Euch fühlen,
wenn ihr mal eben frische Handtücher aufgehangen habt und Euer Partner bekommt
sich nicht mehr ein vor lauter „Aach, das hast Du aber TOLL gemacht!!“? Wie ein
Idiot? Was hingegen bewirkt ein „Danke Dir.“ in Verbindung mit einem kleinen
Lächeln: Wertschätzung, Wohlgefühl etwa? Warum sollte das bei Kindern anders
sein? Sie orientieren sich an dem, was wir ihnen spiegeln. Spiegeln wir ihnen
Unfähigkeit und soziale Inkompetenz werden sie sich bemühen, unsere Vorgaben zu
erfüllen. Schließlich möchten sie unserem Bild genügen.
Wie gesagt – das ist alles
fluffig geschrieben und Wissen und Handeln sind wie Römersandale und
Stöckelschuh. Hier ein Umdenken und eine Handlungswende zu initiieren, braucht
eine große Tüte Mut. Nicht zuletzt vermittelt das ganze Regelwerk eine
Sicherheit bei fehlender Orientierung und verleitet zu dem Rückschluss, dass bei
Aufgabe das Chaos droht. Hier darf ich meinerseits an Emil Zátopek erinnern
„Wenn du laufen
willst, lauf eine Meile. Wenn du ein neues Leben kennenlernen willst, dann lauf
Marathon.“
Und bis dahin – wenn
Sohnemann grad gern Butter essen mag, kauft halt einfach ein Stück mehr.
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Franziska du Puits, Jahrgang 1980, lebt mit ihren zwei Kindern in Sachsen. Mit Abschluss im Orientierungslauf über lange Distanzen macht sie derzeit Erziehungsurlaub. Ihr Blog: fruehstuecksbratwurst.blogspot.com
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Franziska du Puits, Jahrgang 1980, lebt mit ihren zwei Kindern in Sachsen. Mit Abschluss im Orientierungslauf über lange Distanzen macht sie derzeit Erziehungsurlaub. Ihr Blog: fruehstuecksbratwurst.blogspot.com