Dienstag, 2. Januar 2018

Labels, Siegel, Winkel



Die Westdeutsche Zeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe, der Discounter Aldi Süd führe "das vom Deutschen Vegetarierbund vergebene V-Label zur Kennzeichnung fleischloser Produkte ein. In einem ersten Schritt würden Produkte vom vegetarischen Würstchen über fleischlosen Aufschnitt bis zum gelatinefreien Fruchtgummi mit dem Label angeboten. Weitere Produkte würden in den kommenden Monaten folgen, teilte das Unternehmen am Dienstag (27. Mai 2014) mit."

"Das V-Label", so die WZ weiter, "soll Vegetariern und Veganern den Einkauf erleichtern, heißt es. Die Produkte würden dabei entsprechend ihrer Zutaten in vier Gruppen eingeteilt: vegetarisch, ohne Milch, ohne Ei sowie vegan, also ohne jegliche tierische Zutaten. Aldi ist nicht der einzige Discounter, der die Vegetarier als Kundengruppe entdeckt. Konkurrent Penny testet seit Mitte April 2014 mit der Marke «Vegafit» erstmals Produkte für Vegetarier."

Ich meine: es ist an der Zeit, sich ein paar grundsätzliche Gedanken zu machen.
von Robert Bock (Re-Post vom 08. Mai 2015)

Labels, Labels, Labels...

"Wie erkenne ich bio, fair und artgerecht?", fragt zum Beispiel der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und ergänzt um "regional" und "saisonal".

Wann kommt das "Paleo-Label", frage ich mich? Eine empfehlende Kennzeichnung für Menschen mit dritten Zähnen auf dem Griesbrei? Das Label für den Muslim und Juden, dass das Produkt in seinen Händen halal oder koscher sei? Ein Label für linkshänderoptimierte Gurkengläser? Ein "Nazi-Approved-Label" für vegane Glatzenpolitur und das optimierte Futter für den Deutschen Schäferhund? Oder glaube ich noch immer zu  sehr an das Gute im Menschen und das V-Siegel des VEBU geht bereits in diese Richtung? Schließlich - ja, es war nun mal so, liebe Vegetarier! - war die braune Führungsriege in diesen unseeligen Zeiten so fasziniert vom Vegetarismus, seinem weltanschaulichem Überbau und seinen ökonomischen Effizienzpotenzialen, dass sie menschenverachtende, tödlich verlaufende Versuche mit vegetarischer Ernährung u.a. im Konzentrationslager Mauthausen durchführen ließ. Dort wurde auch mit Labels und Siegeln gearbeitet übrigens. Nicht die Nahrung betreffend, aber die unglücklichen Menschen. In den KZ's nannte man die Labels "Winkel".

Exkurs: Keine zwei Wochen ist es her, da haben Olga, ihre Schwester und ich die KZ-Gedenkstätte Dachau besucht. Dort hat die SS ihre Heilkräuterplantage betrieben, die der weiter oben verlinkte  Artikel aus der ZEIT erwähnt und über 40.000 Menschen fanden dort den Tod. Die wissenschaftliche Abhandlung des ehemaligen Häftlings Stanislaw Zámecnik "Das war Dachau", die ich unter dem frischen Eindruck der Bilder in meinem Kopf und der erdrückenden Energie dieses Ortes in den Tagen danach gelesen habe - das alles hat mich sehr beschäftigt. Darum vielleicht, greife ich heute dieses Thema auch einmal mehr auf. Weil man die Geschichte kennen sollte, um die Gegenwart bewerten zu können. Das, was dort und in anderen Konzentrationslagern  - auch mit Naturheilkunde- und Vegetarismus-Kontext - geschah, darf meiner Überzeugung nach niemals vergessen werden, denn sonst droht sich Geschichte schlimmstenfalls zu wiederholen. - Exkurs Ende.

Der Effizienzgedanke, der die Nazis so für sich einnahm, dass sie nebenbei die Mutter aller Veggie-Würste, deren zeitgenössische Versionen wir demnächst mit dem V-Winkel, pardon: -Siegel im Aldi-Kühlregal finden werden, die "Biosyn Vegetabil Wurst" erfanden, begeistert noch heute die tierliebenden Veganer: "Tiere ihres Fleisches wegen aufzuziehen ist äußert ineffizient, denn um Fleisch zu erzeugen, muss ein Vielfaches an pflanzlicher Energie den Tieren verfüttert werden", schreibt PETA. So argumentierte man auch im Dritten Reich, wenn es um die Ernährung der Häftlinge ging, die der "Vernichtung durch Arbeit" zugeführt werden sollten.

Bemerkenswert und grenzwertig pervers: Die Nazis waren ausgewiesene Tierfreunde und verboten per Reichsgesetz von 1933 (!) die Vivisektion am Tier. Der SPIEGEL schreibt dazu:
"Wie ernst es den Nationalsozialisten mit dem Schutz niederer Lebensformen und besonders dem Kampf gegen wissenschaftliche Tierversuche war, lässt eine Rundfunkansprache des Hitler-Vasallen und damalige preußischen Innenministers Hermann Göring von August 1933 schließen: "Bis zum Erlass dieses Gesetzes werden Personen, die trotz Verbotes die Vivisektion veranlassen, durchführen und sich daran beteiligen, ins Konzentrationslager abgeführt", drohte der begeisterte Waidmann und "Reichsjägermeister" unverhohlen. Die Androhung von Lagerhaft für Tierquälerei war übrigens eine der ersten öffentlichen Erwähnungen überhaupt der Konzentrationslager."

Ihre Tierliebe hielt die Nazis aber nicht davon ab, die Vivisektion an Menschen durchzuführen.(Quelle).
Sie stellten das Tier über den Menschen.

So mancher Tierschützer und Vegan-Ideologe bewegt sich m.E. ebenfalls nahe an dieser Absturzkante, hinter der der tiefe Abgrund der Menschenverachtung gähnt.

Schade, auf der PETA-Seite habe ich leider keinen Eintrag zum Stichwort Nationalsozialismus gefunden. Nur ein Verzeichnis, von als rechtsradikal eingestufter Seiten, auf denen PETA erwähnt wird. Keine Distanzierung zu diesen historischen Wurzeln der Tierrechtsbewegung.

Macht's der VEBU besser als die Tierrechtler? Seht selbst: Man stilisiert sich lieber, als von der Gleichschaltung bedrohtes Opfer und erwähnt die Vegetarismusbegeisterung der Nationalsozialisten, die zeitweise Vorliebe Hitlers für vegetarische Ernährung, die perversen Menschenversuche mit keinem einzigen Wort. Mit keinem einzigen! Auch in der umfangreichen Liste prominenter angeblicher Vegetarier fehlen die Namen der NS-Bonzen. Braune Flecken auf der blütenweißen Weste sehen wohl zu schmuddelig aus ...?

Vergangenheitsbewältigung und Einordnung der eigenen Weltanschauung in den übergeordneten Gesamtkontext, kann auch anders betrieben werden. Offen, schonungslos, kritisch. Abgrenzend statt ausblendend und verdrängend. Ich will nicht mißverstanden werden: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die PETA-Leute, wie auch die Leute vom VEBU nicht,  Nazis sind bzw. - ganzheitlich betrachtet-, weltanschaulich irgendwo in deren Nähe zu verorten sind. Sie sind m.E. allenfalls geschichtslos und naiv. So etwas kann aber auf Dauer ähnlich wirken wie ein Verzicht aufs Zähneputzen. Das kann bekanntlich zu braunen Zähnen führen.

Will noch jemand eine Veggie-Wurst vom Grill? Zum Andenken an hunderte Toter in Mauthausen, die im Rahmen der Produktentwicklung ihr Leben verloren?


Zurück zu den diversen Labels: Ein Label für "Produkte frei jeglichen positiven Nährwertes" würde ich sogar begrüßen, das gibt es aber leider nicht. Drastische Warnhinweise gibt es nur auf Zigarettenschachteln. Das find ich Klasse! Cola und Schokoriegel würden solche Hinweise ebenfalls verdienen. Eine Frage der Zeit?

Gottseidank gibt es in diesem Dschungel des Deklarierungswahnsinns schon eine App für Homo smartphonensis, damit er im Supermarkt nicht die Nerven verliert und in seiner Verzweiflung schreit "Ich bin ein Depp, holt mich hier raus!"

Geht's nur mir so, oder seht Ihr das ähnlich: Irgendwie nimmt die Wut zum Deklarieren groteske Züge an.

Interessant ist doch in diesem Kontext auch, mit welcher Vehemenz sich die Lebensmittelindustrie - und das mit Erfolg - gegen die "Ampel-Kennzeichnung" auf Lebensmitteln wehrte und manche europäische Verbraucherschutzminister aussehen ließ wie willfährige Lakaien der Wirtschaft, haarscharf am Rande des Verdachtes entlangschrammend, inkompetend, korrupt oder beides zu sein.

Statt eines transparenten, leicht verständlichen Systems das ungesunden Junk als solchen ausweist, wird, was die Deklaration von Zusatzstoffen angeht, völlig im Einklang mit windelweichen Gesetzen, getrickst, getarnt und getäuscht und Nährwertangaben auf Portionsgößen kalkuliert, die allenfalls einem der sieben Zwerge hinter den sieben Bergen auf FdH Sättigung bieten würde. Ein Kabarettist formulierte, dass Verbraucherschutz heute bedeute, die Industrie vor dem Verbraucher zu schützen, nicht umgekehrt. Das Lachen bleibt einem im Halse stecken, wenn man sich vor Augen führt, wie recht er leider damit haben könnte.

Irgendwann sieht man nicht mehr, was in der Packung eigentlich drin ist, weil Label neben Label prangt, dafür aber mangels Platz auf der Packung die Zutatenliste immer kleiner gedruckt wird, bis man sie nicht mehr lesen kann. Spätestens, wenn auf einem Apfel dieses V-Siegel pappt, steht wohl fest, dass man in der Lebensmittelbranche Vegetarier für ganz besonders alltagsuntaugliche Dummköpfe hält, die man manipulieren kann, wie es beliebt.

Karl Lagerfeld meint, "wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren"

Ich meine: Wen die Beschaffung seiner Nahrung überfordert, der hat die Kontrolle über eine selbstbestimmte Lebensgestaltung verloren. 

Gegenmaßnahme: Die Kompetenz in Sachen Einkaufen wieder in die eigenen Hände nehmen und nicht vertrauensseelig an Industrie und Handel delegieren!

Gemüse anbauen, Hühner und Kaninchen halten, Obstbäume pflanzen, Angelschein machen - nicht jeder hat einen großen Garten und fühlt sich zum Selbstversorger berufen. Ich finde das klasse, wenn das jemand mit Liebe und Hingabe macht! Ich habe leider nur einen Balkon und mehr als ein paar Kräutertöpfe passen da nicht drauf und mehr als Sprossenzucht auf dem Fensterbrett des Küchenfensters ist diesbezüglich nicht drin. Ich denke, so geht es vielen Städtern, doch der Trend zum Urban Gardening ist mir ein Silberstreif am Horizont.

Auf dem Obst und Gemüse, das ich bei meinen Direktvermarktern kaufe, prangt kein einziges Label auf der Verpackung. Warum nicht? Weil es keine Verpackung gibt. Da klebt kein Label, da klebt noch Erde am Kohlrabi und am Rettich, da muß man den Feldsalat noch händisch putzen, damits nicht zwischen den Zähnen knirscht und die Gurke steckt nicht in einem strammen Plastik-Pariser.
Mein Fisch, mein Fleisch kommt nicht aus irgendwelchen plastikverschweißten, vakuumverpackten, sauerstoffbegasten, kartonummantelten "Convenience-Packs" und die Zahl der Lebensmittel in meinem Einkaufskorb, die irgendwie beschriftet sind, ist ziemlich überschaubar.

Wenn ich eine Gewürzmischung kaufe, halte ich ein Etikett mit Zutatenliste für nützlich und wenn ich mal einen Senf im Glas kaufe, dann will ich wissen, welcher E-Nummerndreck mir darin als Nahrung verkauft werden soll und wähle, wenn es sich nicht vermeiden lassen sollte, das kleinste der zur Wahl stehenden Übel.

Es ist in meinen Augen eine zentrale Aufgabe unseres Bildungswesens grundlegende Lebenskompetenzen zu vermitteln, denn offensichtlich sind viele Eltern dazu selbst nicht in der Lage. Unsere Kinder müssen so viel Wissensballast lernen, der ihnen im Leben selten nützlich sein wird. Elementarwissen zur Ernährung und Gesundheit wäre zweifelsohne für jeden wichtig. Wo rangiert die Vermittlung solchen Wissens aber? Unter ferner liefen.

Das Problem einer Forcierung solcher Fächer ist die fachliche Unterwanderung der zuständigen staatlichen Institutionen durch die Lobbyorganisationen der Lebensmittelindustrie - z.B. der D.G.E. e.V. - die fern der wissenschaftlichen Evidenzlage, Ernährungstile als gesund propgagieren, die allenfalls gesund für die Bilanzen der Agrar- und Lebenmittelindustrie sowie des Gesundheitssektors sind. Getreu dem zynischen Motto: Chronisch krank von der Wiege bis zur Bahre - für unsere Kassen ist nur das das Wahre.

Das Beste an einer Marktwirtschaft ist, dass die Nachfrage das Angebot lenkt. Aber nur unter einer Bedingung: sofern sich die Nachfrager nicht von den Anbietern lenken, manipulieren, vertrauensseelig über den Tisch ziehen lassen. Skepsis ist im Leben immer dann angebracht, wenn Geld im Spiel ist. Erst komme das Fressen, dann die Moral, formulierte Bertold Brecht. Im Zusammenhang mit den Märkten auf denen Lebensmitteln gehandelt werden, beinahe ein zen-buddhistischer Koan.

Jeder von uns ist aufgerufen, sein Einkaufs- und Ernährungsverhalten zur privaten Angelegenheit zu erklären,  in die eigenen Hände zu nehmen und natürliche Lebensmittel zu kaufen, so wie sie vor der Vereinnahmung durch Industrie und Handel beschaffen sind. Solche die weder eine umweltschädliche Verpackung haben, noch irgendwelcher Labels bedürfen, um verstanden zu werden. Eine Banane, Orange, ein Ei, haben von Natur aus eine evolutorisch optimierte Verpackung, eine Schale. Ich brauche weder kunterbunt etikettierte Blisterfolie um drei Bananen herum, noch jedesmal einen neuen Einwegkarton, wenn ich Eier kaufe. Mehr als das naturverpackte Produkt braucht's nicht. Ich brauche auch keine Stempel auf der Eierschale, die ich nicht verstehe, Aufkleber auf einzelnen Äpfeln, die sich kaum ablösen lassen und wasweisich für giftigen Dreck an den Apfel abgeben, sondern was ich brauch', ist ein persönlicher Kontakt zu dem Bauern, der die Hühner hält, dem Menschen der mir sein Olivenöl aus seiner Heimat verkauft und will sehen, wie Bäume aussehen von denen meine Oliven, Äpfel und Birnen kommen und wie die Tiere leben, deren Eier oder Fleisch (oder beides) ich essen werde!

Das wird nicht lückenlos funktionieren, aber auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt, sagt Aristoteles, und nach dem japanischen Kaizen-Prinzip gelangt man auch in winzigen Schritten, kontinuierlich getan, an große Ziele.

Laßt Euch nicht entmutigen auf Eurem Weg: Für sich gesehen scheint der Einzelne nur kleinen Einfluß zu haben, in der Masse entfaltet sich auf Märkten aber eine beeindruckende Macht.

Hinweis: Dieser Beitrag ist ein Re-Publish vom Mai 2015 anlässlich des 70. Jahrestages des Endes des zweiten Weltkrieges.