Mittwoch, 24. Juni 2015

Tod durch Rhabarberkompott

Foto: pixabay
Hättet Ihr es für möglich gehalten, dass man einen Menschen mit Rhabarber töten kann?
Ich hab' mal nachgerechnet, wieviel ich einem etwa 50 kg leichten Menschlein dafür verabreichen müßte und kam auf etwa 6,5 kg Rohware.
Nein, keine Sorge, ich trage mich nicht mit Mordgedanken und Olga ist keineswegs in Lebensgefahr.
Gut, werdet ihr sagen, aber wer futtert schon sechseinhalb Kilo Rhabarber, es sei denn es handelt sich um eine blöde Wette, auf die wahrscheinlich nur hochgradig alkoholisierte Briten, die auf alles wetten, was irgendwie durchgeknallt klingt oder von organisierten Wettessen faszinierte Amerikaner und Japaner kommen könnten.

Ein Rhabarber-Wettessen auf Leben und Tod - das würde wohl im Prekariat gewaltige Einschaltquoten erzielen. Wer weiß, vielleicht könnte RTL so seine abgestürzten Einschaltquoten bei DSDS wieder pushen? Oder ein ganz neues TV-Format? Da könnten  die ganz harten Veganer mal ihren anämischen Mädels zeigen, was für Kerle sie sind, wenn sie sich dazu durchringen könnten, ihre Häkelnadeln mal für eine Weile aus der Hand zu legen.

Aber wenn ein Gemüse, und um das handelt es sich beim Rhabarber aus der Familie der Knöterichgewächse, nur in den USA nicht, da ist der Rhabarber sogar gesetzlich definiert ein Obst, töten kann, dann kann es in geringeren Mengen gegebenenfalls erwünschte oder unerwünschte milde Wirkungen entfalten bis hin zu längerfristig größeren gesundheitlichen Problemen beitragen
.
Ob man Rhabarber im Rahmen einer emulierten Paleo-Ernährung des 21. Jahrhunderts konsumieren sollte, dieser Frage will ich mich heute widmen.
von Robert Bock

Unsere altsteinzeitlichen afrikanischen Urahnen konnten dieses Gemüse nicht kennen, da es im Himalaya heimisch ist und wir Europäer kamen nachweislich erst im 18.Jahrhundert mit ihm in Kontakt.

Höchst witzig ("Olgaaaaa... wo ist mein Schreikissen?") fand ich neulich, als ein "Gesundheits-Guru" im deutschen Fernsehen von sich gab, dass schon Hildegard von Bingen (1098 - 1179) und die "mittelalterliche Klostermedizin"  schon in höchsten Tönen vom so gesunden Rhabarber schwärmten. Das Mittelalter endete nach Übereinkunft unter Historikern, aber bereits mit der Entdeckung Amerikas 1492. Soviel zu unseren TV-Guru's und was sie an Blödsinn erzählen dürfen, wenn der Tag lang und die GEZ-Gebühr hoch genug ist, solchen Gestalten Honorare zu bezahlen. Was wohl der hilfbereite User "gedule" der Plattform gutefrage.net dazu gesagt hätte, der vom Konsum von Rhabarber ausgerechnet deshalb abrät, weil die alte Hildegard ausdrücklich davon abgeraten habe, ihn zu verzehren? Das Internet ist schon ein Segen, oder?

Exkurs: Mein Eindruck: Wenn jemand irgendwelchen Blödsinn zu Gesundheitsthemen erzählt, dem es an jeglicher wissenschaftlicher Evidenz mangelt, dann ruft er Hildegard von Bingen, einen der zahlreichen antiken griechischen Vegetarier, die mittelalterliche Klostermedizin, TCM oder Ayurveda in den Zeugenstand oder verwendet den Begriff "feinstofflich". Von dort aus ist es dann nicht mehr weit zu Homöopathie und Schüssler-Salzen. Achtet mal drauf. - Exkurs Ende

Von China über Russland (im 16. Jahrhundert) gelangte der Rhabarber über die Wolga frühestens im 18.Jahrhundert nach Westeuropa, zu einer Zeit also, als der alten Hildegard schon längst kein Zahn mehr weh tat. Von ausreichend Zeit, sich stoffwechseltechnisch genetisch an den Genuß von Rhabarber anzupassen, kann also keinerlei Rede sein, was aber nicht zwingend ein Problem sein muß, da es weniger auf das Nahrungsmittel per se, sondern seine "biologischen Kampfstoffe" - Antinutrients - ankommt. Mit vielen kann unser Stoffwechsel etwas anfangen, andere machen ihm Probleme.

In der Traditionellen Medizin Chinas und Tibets spielt das Gewächs als Abführmittel eine traditionelle Rolle. Das sollte hellhörig machen, denn wenn unser Verdauungstrakt es pötzlich eilig hat, seinen Inhalt über welche Körperöffnung auch immer loszuwerden, dann hat das nicht zwingend postive, sondern im Regelfall eher negative Gründe. Doch wenn die Schlitzaugen auf altchinesischen "Stillen Örtchen" noch schlitzäugiger wurden, weil der Darm zu träge arbeitete, dann griff man dort eben zum Rhabarber als kulinarischen Abflußreiniger.
An sich ist im Rhabarber außer Wasser duchaus etwas an Mikronährstoffen enthalten, was unser Gesundheit zuträglich ist und wer auf die schlanke Linie achten muß, kann ziemlich viel davon essen, ohne Angst haben zu müssen, davon zuzunehmen. Allerdings: 600mg/kg Körpergewicht, möglicherweise aber individuell auch deutlich weniger, ist die tödliche Dosis eines Wirkstoffes, auf den noch einzugehen sein wird, und ein gewichtsmäßiger Floh wie meine Taiga-Braut sollte daher bei einem Gehalt von 0,46g/100g nicht mehr als etwa 6,5kg Rhabarber zu sich nehmen. Auch wenn es verlockend klingt, soviel Futter für nur 845 kcal bunkern zu können (13 kcal/100g Rohware). By the way: Sie kann Rhabarber überhaupt nicht leiden. Das beruhigt mich!

Was schreibt Wikipedia:

"Die Blattstiele enthalten durchschnittlich 94,5 Gramm Wasser je 100 Gramm essbarer Frischsubstanz. Die 1,3 g Kohlenhydrate verteilen sich recht gleichmäßig auf Glucose, Fructose, Saccharose und Stärke. Außerdem sind 0,6 g Protein, 0,1 g Fette und 3,2 g Ballaststoffe enthalten. An Mineralstoffen sind in 100 g 270 mg Kalium, 50 mg Calcium, 25 mg Phosphor, 13 mg Magnesium und 0,5 mg Eisen enthalten. An Vitaminen sind Vitamin C mit 10 mg, Vitamin A (Carotin) mit 0,07 mg, Vitamin B1 mit 0,025, B2 mit 0,030 und Niacin mit 0,25 mg zu nennen. Der Energiewert beträgt 54 kJ (13 kcal).
Wichtig für den Geschmack sind die Fruchtsäuren, vor allem Äpfel- und Citronensäure, in Verbindung mit dem Zucker. Sorten mit rotem Fleisch enthalten weniger Fruchtsäuren als solche mit grünem Fleisch. Die Sorte „Ras Versteeg“ enthält rund 1,5 Gramm Äpfel- und 0,1 Gramm Citronensäure auf 100 Gramm essbare Frischsubstanz. In den Stielen sind im Schnitt 460 Milligramm Oxalsäure je 100 Gramm Frischsubstanz enthalten. Dieser hohe Gehalt wirkt beim Menschen calciumzehrend. Für nieren- und gallenkranke Menschen sowie für Kinder ist Vorsicht geboten.
Die abführende Wirkung von Rhabarber beruht wahrscheinlich auf dem Anthrachinon, das die Peristaltik anregt" 

Habt Ihr aufgepasst? Oxalsäure... da haben wir doch schon einen der üblichen Verdächtigen aus dem Arsenal der ungesunden Phytochemika. Die sorgt dafür, dass ein guter Teil der enthaltenen an sich positiven Mikronährstoffe Chelatkomplexe bildet und nicht resorbiert werden kann. Entscheidend ist eben immer, was unser Körper aufnehmen kann, nicht was im (pflanzlichen) Lebensmittel enthalten ist. Das versteht bei der D.G.E. offensichtlich kaum jemand. Oder will es nicht verstehen?

Das schreibt Wikipedia:
 "Oxalsäure ist in höherer Konzentration gesundheitsschädlich, kommt in geringer Konzentration aber in Lebensmitteln wie Tee (insbesondere schwarzer Tee und Pfefferminztee), in Rhabarber, in Sauerampfer, in Kakao und Schokolade vor. Calciumoxalat entsteht in der Natur häufig beim Absterben von Pflanzenzellen. Es kann unter polarisiertem Licht in Form von hellen rechteckigen Kristallen erkannt werden (besonders einfach in braunen Zwiebelschalen). Nierensteine bestehen meist aus Calciumoxalat und Harnsäure, die Steinbildung wird aber durch Zitronensäure, welche in Früchten vorkommt, verhindert.
Da Oxalsäure die Resorption (Aufnahme) von Eisen im Darm erschwert, sollte man bei einer Eisentherapie, z. B. im Rahmen einer Eisenmangelanämie, mit dem Verzehr der o. g. Lebensmittel zurückhaltend sein und diese auch nicht gleichzeitig mit der Einnahme von Eisentabletten zu sich nehmen. Nach Aufnahme von Oxalsäure kommt es im betroffenen Gewebe zu einer Verarmung an Calcium, in schweren Fällen kann dies eine Schädigung des Herzens zur Folge haben. Nach Aufnahme von größeren Dosen kann es zu Lähmungserscheinungen kommen, in jedem Fall (auch bei leichten Vergiftungen) kommt es zu Nierenschäden durch verstopfte Nierentubuli. Die letale Dosis (LDLo beim Menschen, oral) wird mit 600 mg pro kg Körpergewicht angegeben."

Und das englischsprachige Wikipedia weiß, was die Toxizität des Rhabarbers angeht:
 "Rhubarb leaves contain poisonous substances, including oxalic acid, which is a nephrotoxic and corrosive acid that is present in many plants. Humans have been poisoned after ingesting the leaves; such poisoning was a particular problem in World War I, when the leaves were recommended as a food source in Britain.
The LD50 (median lethal dose) for pure oxalic acid in rats is about 375 mg/kg body weight or about 25 grams for a 65 kg (~140 lb) human. (Other sources give a much higher oral LDLo (lowest published lethal dose) of 600 mg/kg.) While the oxalic acid content of rhubarb leaves can vary, a typical value is about 0.5%, so a rather unlikely 5 kg of the extremely sour leaves would have to be consumed to reach an LD50 of oxalic acid. Cooking the leaves with soda can make them more poisonous by producing soluble oxalates. However, the leaves are believed to also contain an additional, unidentified toxin, which might be an anthraquinone glycoside (also known as senna glycosides)."

Die Briten duften also im ersten Weltkrieg schon mal unangenehme Erfahrungen mit einem großzügigen Rhabarberkonsum sammeln. Kochen in Wasser mit Zusatz von Soda erhöht den Gehalt an Oxalaten, es existieren Berechungen der tödlichen Dosis die weit tiefer liegen, als die bei uns angesetzen Werte, auf denen sich meine Berechung eingangs des Artikels beziehen, und es wird ferner spekuliert, dass es weitere, noch nicht exakt identifizierte giftige Substanzen im Rhabarber gibt. Bemerkenswert: Die Median Lethal Dose ist definiert, als die Menge eines Toxins, bei deren Verabreichung die Hälfte der Testpopulation ihr Leben aushaucht. Die angegebenen Mengen bedeuten also keineswegs, dass bei deren Verabreichung keine Lebensgefahr besteht, sondern vereinfachend gesagt nur eine 50/50-Chance. Deswegen mein Hinweis weiter oben, dass man möglicherweise auch bei deutlich weniger als 600 mg/kg Körpergewicht das Zeitliche segnen könnte.

Da frag ich mich doch: warum lese ich über solch interessante Details zu pflanzlichen Lebensmitteln wieder einmal nichts im deutschsprachigen Wikipedia? Warum weist niemand auf solche Gesundheitsrisiken hin und wird stattdessen das Hohelied aufs Grünzeug gesungen?
Systematisch werden bei uns problematische Gemüse und Obstsorten (natürlich auch die Getreide) "schön geschrieben" und unangenehme Details wie Toxine und Antinutrients schlicht verschwiegen. Wer hat daran wohl ein Interesse? Vegetarier-Ideologen wie Claus Leitzmann, der König der Beugung und Verdrehung wissenschaftlicher Fakten und die graue Eminenz der Fleischlosen bei der D.G.E.?


Soll ich Euch etwas verraten? Ich persönlich habe Rhabarberkuchen und Rhabarberkompott noch nie leiden können und eher widerwillig verzehrt. Das Beste am Rhabarberkuchen war und ist der Berg von Schlagsahne unter dem ich ihn begraben kann. Geht's nur mir so?
Und jetzt ist mir auch klar warum, warum ich mich für dieses Gemüse nie erwärmen konnte. Das Zeug sollte man mit großer Vorsicht geniessen, wenn es im Frühjahr Saison hat und daran denken, dass Oxalsäure auch in anderen Lebensmitteln ziemlich reichlich enthalten sein kann (z.B. Spinat, Mangold, Sauerampfer, Knoblauch, Petersilie, Kakao, Tee...) und sich so die gesamte Dosis über den Tag hinweg bedenklich erhöhen kann, auch wenn man jedes Lebensmittel in an sich moderten Mengen geniesst.

Vor allem, wenn man Vegetarier oder gar Veganer ist. Warum haben die wohl so oft Probleme mit Eisenmangelanämie? Weil ihre Nahrung kaum verwertbarer Eisen enthält und/oder weil die Oxalsäure in so vielen Pflanzen die Aufnahme sabotiert? Ja, ja...die angeblich so gesunden Pflanzen und das angeblich so ungesunde Fleisch.

Rhabarberkompott ist eine Zuckerbombe - ohnhin nicht paleokonform.Was Rhabarberkuchen angeht, werden die Nussmehlnachbau-ExpertInnen sich nicht abschrecken lassen. Sie sollten aber bedenken, dass Phytate in den Nüssen und die Oxalsäure im Rhabarber eine ziemlich unheilige Allianz eingehen, wenn es um die Versorgung mit Mineralstoffen und Spurenelementen geht.

Wer's trotz allem nicht lassen kann oder regelrecht "rhabarbergeil" ist:
  • Kleine Mengen und nur in der Saison - Die Dosis macht das Gift!
  • Andere oxalathaltige Gemüse, aber auch Grünen und Schwarzen Tee reduzieren, wenn man Rhabarber konsumiert.
  • Rhabarber nicht roh essen!
  • Die Stangen gründlich schälen, klein schneiden, gut wässern, blanchieren und das Wasser wegschütten, das reduziert die Oxalsäure. Speziell die Blätter sollte man besser gar nicht konsumieren.
  • Niemals Natron/Soda ins Kochwasser - das erhöht den Gehalt an biologisch wirksamen Oxalaten.
  • Stets Zitronensaft an ein Gericht mit Rhabarber, um die Gefahr der Bildung von Nierensteinen zu verringern, auch wenn die natürlich enthaltene Zitronensäure schon ein wenig hilfreich ist.
  • Für Paleoten zwar kaum ein echtes Thema, aber der Vollständigkeit halber: Keine Milchprodukte zum Rhabarber (oh je, adieu geliebter Schlagsahneberg....), da sich das Calzium mit den Oxalaten zu Calziumoxalatkomplexen verbindet.
So - jetzt wisst Ihr Bescheid. Bis Ende Juni dauert die Saison, dann ist das Problem bis zum nächsten April mal wieder überstanden.

(Re-Post vom Mai 2014)